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22.02.2021 | Forschung , News
Abgeschlossene Doktorarbeit im COMET-Projekt
Stephanie Weiss hat auf dem Gebiet der Prozessanalytik für die wissensbasierte Verarbeitung von duroplastischen Werkstoffen promoviert
- Stephanie Weiss hat am 15. Januar 2021 ihre Doktorarbeit zum Thema „Process analysis for smart and flexible processing of melamine formaldehyde surface films“ [1] an der Universität für Bodenkultur in Wien (Österreich) erfolgreich verteidigt.
Frau Stephanie Weiss hat im Rahmen des COMET-Forschungsprogramms ihre Doktorarbeit auf dem Gebiet der Prozessanalytik und ihrer Anwendung bei der Verarbeitung von duroplastischen Werkstoffen abgeschlossen und am 15. Jänner 2021 erfolgreich an der Universität für Bodenkultur in Wien verteidigt. Am 20. Jänner 2021 hatte sie bereits einer interessierten Öffentlichkeit im Rahmen des Seminars „Angewandte Chemie“ einen kleinen Querschnitt ihrer Arbeiten vorgestellt. Dabei hat sie interessierten Studierenden der Fakultät Angewandte Chemie tiefe Einblicke in die erfolgreiche Anwendung prozessanalytischer Methoden bei der Aufklärung von Reaktionsmechanismen und dem Studium von sich herausbildenden Produkteigenschaften im Zuge der Verarbeitung gegeben. Ein Teil dieser Arbeiten wurde auch bereits in polymerwissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht [2-4].
Stephanie Weiss hat sich in den letzten vier Jahren intensiv mit der online-analytischen Prozessverfolgung des Kondensierens von Melaminharzen beschäftigt. Im Unterschied zu den meisten in der wissenschaftlichen Fachliteratur dokumentierten Studien, die sich mit der Analytik von Duroplasten in einem noch flüssigen, frühen Stadium beschäftigen, hat sie sich dabei auf den abschließenden thermischen Härtungsprozess dieser Polymerklasse konzentriert. Industriell erfolgt das Härten normalerweise in heißen Pressen im Zuge der Herstellung von Formteilen und Laminaten und stellt den letzten Fertigungsschritt dar. Dabei bilden sich aus dem bereits festen duroplastischen und vorvernetzten Material die harten, chemikalienresistenten und temperaturbeständigen Oberflächenfilme, für die Melaminoberflächen allgemein bekannt sind und die in Produkten wie Arbeitsoberflächen, Fußbodenlaminaten, Möbelfronten und Fassadenelementen breite Anwendung finden (Abbildung 2). Die Analytik in dieser letzten Härtungsphase ist sehr anspruchsvoll und schwierig auszuführen.
In ihren Arbeiten ist es Frau Weiss gelungen, mittels Infrarot-Spektroskopie so genannte „Curing Trajectories“, also Härtungsverläufe auf Basis von spektroskopischen Fingerabdrücken in Abhängigkeit von den Härtungsbedingungen zu erzeugen, die sich sehr gut zur Vorhersage von technischen Eigenschaften wie beispielsweise der chemischen Beständigkeit von Melaminoberflächen eignen. Dabei hat sie herausgefunden, dass sich mit ein und demselben Ausgangsmaterial (dem so genannten „Prä-Polymer“) durch gezielte Variation der Härtungsbedingungen ganz unterschiedliche technologische Eigenschaftsprofile einstellen lassen. Die molekularen Ursachen für diese Eigenschaftsprofile lassen sich mittels spektroskopischer Messverfahren messtechnisch erfassen und können als „spektrale Fingerabdrücke“ zur Vorhersage konkreter Produkteigenschaften und damit auch zur Prozesskontrolle verwendet werden.
Ein wichtiges Element bei ihren Arbeiten stellt die multivariate Auswertung von spektroskopischen Messdaten dar: hierbei wird die große Fülle an chemisch-physikalischer Information, die über prozessanalytische Verfahren gemessen wird, mathematisch so weit verdichtet, dass verborgene Zusammenhänge im Datenset sichtbar werden und sich zur Entschlüsselung von Ursache/Wirkungsbeziehungen verwenden lassen. Durch Validierung mit Referenzmethoden und Korrelation mit technologischen Eigenschaften lassen sich so Aussagen über die molekularen Vorgänge ableiten, die der Ausbildung von Qualitätsmerkmalen zugrunde liegen.
Methoden der multivariaten Statistik und deren Anwendung im Kontext von Prozessanalytik und Prozesskontrolle sowie Materialentwicklung und Materialoptimierung stellen zentrale methodische Schlüsselkompetenzen im Rahmen der Ausbildung in unseren Masterprogrammen an der Fakultät Angewandte Chemie dar. Neben verschiedensten instrumentellen Verfahren zur online Prozessanalytik sind sie essentieller Bestandteil des Methodenparks an unserem Lehr- und Forschungszentrum „Process Analysis & Technology“ (LFZ PAT). Die Arbeiten von Frau Weiss zeigen sehr deutlich, welches Potential diese Methoden haben – nicht nur im wissenschaftlichen Kontext sondern auch und vor allem in einem industriellen Umfeld zur Beantwortung von praxisnahen Fragestellungen in Produktentwicklung, Verfahrensoptimierung und Qualitätsverbesserung.
Stephanie Weiss hat ihre Promotion bei Prof. Kandelbauer an der Universität für Bodenkultur in Wien am Department für Materialwissenschaften und Prozesstechnik (Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe) abgeschlossen. Das Department für Materialwissenschaften und Prozesstechnik besteht aus dem Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe, dem Institut für Physik und Materialwissenschaft, dem Institut für Verfahrens- und Energietechnik sowie dem Institut für Molekulare Modellierung und Simulation. Das Ziel der an diesem Department durchgeführten Forschung ist ein umfassendes Verständnis zur effizienten Umwandlung von nachwachsenden Rohstoffen unter Berücksichtigung ihrer fossilen und technischen Pendants. Angestrebt wird Exzellenz in physikalischen Charakterisierungsmethoden, Gestaltung innovativer Materialien und technischer Entwicklung von Prozessen, ergänzt durch computerbasierte Modellierung und Simulation, um experimentelle Ergebnisse auf molekularer und höherer Ebene verstehen, erklären und vorhersagen zu können. (Zitat Homepage MAP, Link zum Department für Materialwissenschaften und Prozesstechnik (MAP) der Universität für Bodenkultur in Wien: https://boku.ac.at/map)
Die Arbeiten erfolgten im Rahmen des durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG, Austrian Research Promotion Agency) finanzierten COMET-Programms (Projektnummer 865 905) über die Kompetenzzentrum Holz GmbH. Im COMET-Programm wird unter anderem an neuen funktionalen Oberflächen, ressourceneffizienten Herstellungsverfahren von biobasierten Produkten sowie intelligenten Prozessen im Sinne von Industrie 4.0 geforscht. Die Hochschule Reutlingen ist ein wissenschaftlicher Partner der Kompetenzzentrum Holz GmbH.
Die Kompetenzzentrum Holz GmbH ist eine führende Forschungseinrichtung für Holz und nachwachsende Rohstoffe in Europa. Ihre Kernkompetenzen liegen in der Materialforschung und Prozesstechnologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von den Rohmaterialien bis zum fertigen Produkt. Dabei erarbeiten über 130 hochqualifizierte Forscherinnen und Forscher Methoden sowie Grundlagen und betreiben angewandte Forschung an der Nahtstelle Wirtschaft und Wissenschaft, um ressourcenschonendes Wirtschaften in der kreislaufgeführten Bioökonomie zu ermöglichen. Prof. Kandelbauer betreut als externer Key Researcher einige Teilprojekte zur Ressourcenoptimierung und Nachhaltigkeit von Prozessen sowie zur Entwicklung neuer funktionaler Oberflächen im Forschungsbereich Holz- & Papieroberflächentechnologie (Standort St. Veit an der Glan, Österreich). (Zitat Homepage Kompetenzzentrum Holz GmbH Wood K plus, Link zur Kompetenzzentrum Holz GmbH: https://www.wood-kplus.at/de)
Literatur
[1] Weiss S (2020) Process analysis for smart and flexible processing of melamine formaldehyde surface films. Dissertationsschrift zur Erlangung des Grades eines Doktors der technischen Naturwissenschaften, Department of Material Sciences and Process Engineering, Institute of Wood Technology and Renewable Materials, University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna, Austria.
[2] Weiss S, Seidl R, Kessler W, Kessler RW, Zikulnig-Rusch EM, Kandelbauer A (2021) Multivariate process trajectories for molecular description of MF thermal curing and correlation with hydrolytic stability. Journal of Applied Polymer Science 138, accepted manuscript (in production), DOI: 10.1002/app.50635.
[3] Weiss S, Seidl R, Kessler W, Kessler RW, Zikulnig-Rusch EM, Kandelbauer A (2020) Unravelling the phases of melamine formaldehyde resin cure by infrared spectroscopy (FTIR) and multivariate curve resolution (MCR). Polymers 12 (11), 2569, 1-19. https://doi.org/10.3390/polym12112569
[4] Weiss S, Urdl K, Mayer HA, Zikulnig‐Rusch EM, Kandelbauer A (2019) IR spectroscopy: Suitable method for determination of curing degree and crosslinking type in melamine–formaldehyde resins. Journal of Applied Polymer Science 136 (25) 47691. https://doi.org/10.1002/app.47691
Weitere bisher erschienene Veröffentlichungen von bzw. unter Beteiligung von Frau Weiss:
[5] Seidl R, Weiss S, Zikulnig-Rusch EM, Kandelbauer A (2021) Response surface optimization for improving the processing behavior of melamine formaldehyde impregnation resins. Journal of Applied Polymer Science 138 (7-8) 50181, 1-17. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/app.50181
[6] Urdl K, Christöfl P, Weiss S, Kandelbauer A, Müller U, Kern W (2020) Thermomechanical and microhardness data of melamine-formaldehyde-based self-healing resin film able to undergo reversible crosslinking via Diels-Alder reaction. Data in Brief 33 (DOI: 10.1016/j.dib.2020.106559), 1-15. https://doi.org/10.1016/j.dib.2020.106559
[7] Urdl K, Weiss S, Christöfl P, Kandelbauer A, Müller U, Kern W (2020) Diels-Alder modified self-healing melamine resin. European Polymer Journal 127, 109601. https://doi.org/10.1016/j.eurpolymj.2020.109601
[8] Urdl K, Weiss S, Hesser G, Kandelbauer A, Zikulnig-Rusch EM, Müller U, Kern W (2019) Data on production and characterization of melamine-furan-formaldehyde particles and reversible reactions thereof. Data in Brief 25, 104056. https://doi.org/10.1016/j.dib.2019.104056
[9] Urdl K, Weiss S, Brodbeck B, Kandelbauer A, Zikulnig-Rusch EM, Müller U, Kern W (2019) Homogeneous, monodispersed furan-melamine particles performing reversible binding and forming networks. European Polymer Journal 116, 158-168. https://doi.org/10.1016/j.eurpolymj.2019.04.006
[10] Urdl K, Weiss S, Karpa A, Perić M, Zikulnig-Rusch EM, Brecht M, Kandelbauer A, Müller U, Kern W (2018) Furan-functionalised melamine-formaldehyde particles performing Diels-Alder reactions. European Polymer Journal 108, 225-234. https://doi.org/10.1016/j.eurpolymj.2018.08.023
[11] Weiss S, Neu PM, Ludwig C, Schober S, Mittelbach M (2018) Novel method for the synthesis of cholesteryl glucosides starting from disaccharides. European Journal of Lipid Science and Technology 120, 1700389. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/ejlt.20170038
Abbildung unten: Produkte mit hochwertigen Melaminharzoberflächen finden in vielen Bereichen des Alltags ihre Anwendung als Beschichtungsstoffe auf Horizontal- und Vertikalflächen im Interior (a) und Exterior Design (b), zum Beispiel als kundenspezifische Individualdekore für Fassadenelemente. Basis sind verschiedene Typen von Holzwerkstoffen, deren Oberflächen mit hochwertigen Melaminharzfilmen veredelt werden (c). Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von FunderMax GmbH, St. Veit an der Glan, Österreich (https://www.fundermax.at)